Wir haben nichts aus dem Fall von Kabul gelernt

Kabul Luftbrücke

19. Juni 2023- Lesezeit: 3 min

Sara: Wir haben nichts aus dem Fall von Kabul gelernt

Die Entscheidung der Bundesregierung, die Überstellung von Afghanen mit Aufnahmegenehmigung nach Deutschland zu stoppen, geschah über Nacht. Familien, die Termine in deutschen Botschaften hatten und sich bereits auf den gefährlichen Weg raus aus Afghanistan gemacht hatten, wurden von einem Tag auf den anderen im Stich gelassen. Das Chaos und die Ungewissheit, die dadurch entstanden sind, erinnern an das Vorgehen beim Truppenabzug aus Afghanistan im Jahr 2021.

Bedrohte Afghan*innen mit einer Behinderung sind besonders betroffen. Die Menschenrechtsverteidigerin Sara* und ihre Familie reisten in den Iran, um einen Termin in der deutschen Botschaft wahrzunehmen, wenige Tage bevor der Aufnahmestopp bekannt gegeben wurde. Kurz darauf wurde ihr Termin abgesagt. Sara und ihre Familienmitglieder leiden an schweren körperlichen Behinderungen und sind von der Verzögerung schwer betroffen, erklärt ihr Bruder Sayed, der bereits in Deutschland lebt.

„Jetzt sitzt meine Familie im Iran fest… Sie können das Hotel im Iran jetzt aufgrund der Verzögerung des Programms nicht verlassen, ihre Iran-Visa sind abgelaufen und sie halten sich jetzt illegal im Iran auf. Das sind die Probleme, mit denen wir täglich konfrontiert sind.“

Menschen mit Behinderungen sind besonders benachteiligt

Zusätzlich zu ihrem illegalen Status im Iran sitzt die Familie wegen ihrer körperlichen Einschränkungen im Hotel fest. „Meine Familie braucht besondere Unterstützung, um ihren Behinderungen gerecht zu werden. Die Kinder können nicht in Parks oder an andere Orte gehen … und sie können nicht am Unterricht teilnehmen. Sie verlieren ihre Bildung.“

Saras Familie ist besorgt und empfindet die unsichere Situation als psychologisch sehr belastend. Die GIZ hat versprochen, sie nach Pakistan zu bringen, aber das Datum des Transfers nach Pakistan ist nicht bekannt, und das Problem ihrer iranischen Visa bleibt für ihre alltäglichen Aktivitäten und auch für die Reise nach Pakistan bestehen.

Sara hat ihr ganzes Berufsleben lang für eine Menschenrechtsorganisation in Afghanistan gearbeitet, die sich für die Rechte von Frauen und Mädchen mit Behinderungen in Afghanistan einsetzt und dabei von ausländischen Organisationen unterstützt wird. Ihre Nachbarn erzählten den Taliban von ihrer Arbeit, und die Taliban begannen, nach ihr zu suchen.

Unsicherheit über die neuen Sicherheitsverfahren

Ihr Bruder Sayed macht sich große Sorgen um sie und die neuen Sicherheitsbefragungen, die die deutsche Regierung einführen wird. „Es ist nicht klar, wie die neuen Sicherheitsbefragungen aussehen werden… wenn sie ihre Zulassung verlieren und nach Afghanistan zurückkehren müssen, befürchte ich, dass die Taliban sie töten werden, vor allem, weil die Taliban wissen werden, dass sie im Iran auf ein Auslandsvisum gewartet haben.“

Sayed befürwortet jedoch auch die Verbesserung der Auswahlverfahren für gefährdete Afghan*innen. „Wir brauchen ein gutes Interviewverfahren und eine bessere Auswahl der Fälle. Das eigentliche Problem ist die Verzögerung und die Unsicherheit, die dadurch entstanden sind.“

Sayed weiß von einem anderen Menschenrechtsverteidiger, Dawood* in Afghanistan, dem die Aufnahme gewährt wurde, dessen Fall aber inzwischen überprüft wird.  Dawood leidet ebenfalls an schweren körperlichen Behinderungen. „Er wurde ohne Pass zur Überstellung aufgerufen… aber am nächsten Tag nahm die Person, die ihn anrief, seine Anrufe nicht mehr entgegen… Jetzt weiß er nichts über seinen Fall und sitzt in Afghanistan fest… Er kann wegen des hohen Risikos, dem er ausgesetzt ist, nicht zur medizinischen Versorgung ins Krankenhaus gehen.“

„Die von der deutschen Regierung vorgenommenen Verbesserungen müssen dazu dienen, die am meisten gefährdeten Personen besser zu identifizieren, darunter auch Menschen mit Behinderungen wie Dawood“, argumentiert Sayed.

Menschen mit Behinderungen können aufgrund ihrer Arbeit ebenfalls gefährdet sein, haben aber oft zusätzliche Probleme beim Zugang zum Programm und bei der Bearbeitung ihres Falles.

Die KLB fordert die deutsche Regierung auf, das Bundesaufnahmeprogramm für Einzelbewerber zu öffnen, um einen besseren Zugang und ein verbessertes und transparentes Auswahlverfahren zu ermöglichen.

Sayed hat Glück, denn er erreichte Deutschland noch vor dem Aufnahmestopp und möchte nun einen Master-Abschluss machen und anschließend Migrant*innen mit Behinderungen unterstützen, die in Deutschland ankommen. „Als ich in Deutschland ankam, sah ich mich mit vielen Problemen konfrontiert… Migrant*innen mit Behinderungen müssen ihren eigenen Weg in die Gesellschaft finden. Es ist mein Traum, ihnen dabei helfen zu können.“

Aber es lastet schwer auf ihm, dass Sara und ihre Familie in der Schwebe hängen. Er hofft, dass sie in Deutschland eine gute und sichere Zukunft haben werden, fernab von Verfolgung. Und er möchte, dass sie mit der Unterstützung, die Menschen mit Behinderungen in Afghanistan nicht zur Verfügung steht, ein gutes Leben führen können.

Reality Check ist eine Kampagne von @kabulluftbruecke, @medicointernational, @lsvdbundesverband und @artistsatrisk.

Du interessierst dich für unsere Arbeit und möchtest uns unterstützen? Dann besuch’ unsere Websites, folge unseren Social Media Kanälen und teile unsere Message!

#RealityCheck
#dontforgetafghanistan
#aufnahmejetzt

Eine Aktion von
Kabul Luftbrücke Logo
Artists at Risk
Medico International Logo